Auf der Türschwelle

Wie oft wohl mag der alte Kater die Türschwelle zum “Anbau” überschritten haben? Um durch das Loch dort, oder die Hintertür, nach draussen zu gelangen, oder auch nur aufs Katzenklo? Um wieder herein zu kommen? Nun blieb er auf dieser Schwelle liegen, hat dabei eine andere überschritten. Keinen Meter von dem Wandschrank, in dem er damals hier gelandet ist, in sein – und unser – Leben geworfen. Einmal.

He, too, was lowered into the ground.

A Clerihew

Als ich mit Borges‘ Labyrinthen zu lesen erstmals fertig war, zu welcher Lektüre mich der Tlönfahrer angeregt hatte, gab ich sie meinem Mann zu lesen. Er ist noch dabei. Regte er mich aufgrunddessen an, Chestertons The Man Who Was Thursday zu lesen. Bin ich noch dabei. Darin ist am Anfang, als Widmung, ein Gedicht To Edmund Clerihew Bentley, der das Clerihew erfunden hat. Auch darauf hat mich mein Mann aufmerksam gemacht.

Wollte mich auch mal dran versuchen. Aus gegebenem Anlass ist dies dabei herausgekommen:

Sir Ian Paisley
was yesterday lifelessly
lowered into the ground
without uttering a sound

Rote mögen’s Süss

Rotkehlchen haben sich dieses Jahr mehr vermehrt als in den letzten. Inzwischen sind die jungen alle rot geworden. Man kann sie von den alten nicht mehr unterscheiden. Sie scheinen sich mit Menschen besser zu arrangieren als untereinander. Da verhalten sie sich eher wie Eichhörnchen: Abweisend. Einzelgängerisch. Revierbewusst.

Aber kaum beginnt ein Mensch, in Bodennähe zu arbeiten, ist eins da. Immer nur eins. Findet allerlei Kleingetier, das der Mensch nicht gesehen hat. Ob es jeweils das gleiche ist, kann der Mensch schwer feststellen, wenn ihre Kehlen einmal rot geworden sind. Sehen ja dann alle gleich aus. Wenn es ein junges ist, fragt er sich, wie es schon wissen kann, dass da in Menschennähe etwas zu holen ist. Als wäre dies Wissen ihm angeboren.

Es gibt aber, wie bei den Buchfinken auch (meint der Mensch hier festgestellt zu haben) zwei Typen: etwas plumpere, rundlichere, und die schlankeren, aufrechteren.

Eins der schlanken begann vor einiger Zeit, sich die Kuchenkrümel zu holen, die der rote Kater im Schüsselchen übriglässt, wenn es Kaffee und Kuchen draussen gibt. Was in diesem guten Sommer öfters vorkam. (Dieses Katers Vorliebe für Kuchen hat ausserdem zu regelmässigerem Kuchenbacken geführt, als es davor hier Gewohnheit war.) Wo war ich?

Ach ja, dieses Rotkehlchen kommt nun regelmässig auf den Tisch zum Schüsselchen, auch wenn da wer sitzt. So wie beim Umgraben oder Unkrautjäten muss man sich das vorstellen. Landete auch schon mal auf einem Kopf oder einer hochgehaltenen Zeitung. Letzteres ging natürlich schief. Aber woher soll ein Rotkehlchen wissen, ob eine Zeitung stabil ist oder nicht, ohne es ausprobiert zu haben?

Seit einigen Tagen aber erscheint dann ein zweites, plumperes, um das schlanke zu vertreiben. Es hat die Sache mit den Kuchenkrümeln mitbekommen. Ich glaube, es ist das älter eingesessene in diesem Revier, das, welches auch im Polytunnel nach Insekten zu jagen pflegt.

Inzwischen meinen beide, es müsse nicht nur zur Kaffeezeit Kuchenkrümel geben. So hockte sich das Plumpe heute schon viel früher auf mein Buch, dann auf den Rand meines Strickkorbes. “Mach ja nicht da rein!” sage ich, als es verkehrt herum auf dem Rand sitzt. Es hört nicht auf mich, sondern hockt sich anschliessend auf mein Knie.

“Okay, okay. Gehe ich halt in die Küche und hole ein paar.“

We may Reach for the Sky and Make Stones

„I’m really glad that life is full of surprises, that there is nothing there for sure and that even typical everyday events take a different course each time. Art is also a surprise. You can never quite know how the work you’ve just started is going to look like. And here lies it’s charm.“

Barbara Falkowska, tkaniny, 2008

Let’s be surprised. Not worried or regretful.
Or hesitant. Let us just knit
our journeys. We don’t know in full
the outcomes at the start of our trips.
Like time, row after row
we knit in a linear way.
Sequence, order and flow
of stitches and colours we may
choose – or just incorporate.
Some threads break. Does it matter?
Not as much as real threats
and the surprising fabrics and patterns
of all the journeys we travel
in life. No need to unravel.
(2010)

(Aus verschiedenen Gründen stelle ich das nun hier ein. Irgendwie passt es gerade. Vielleicht erkläre ich später mal.)

Hier sieht man eine Gewebe von Falkowska.

Efeu und Zwiebeln (free verse)

Mal was vom Färben und Stricken:

Ich nenne ihn meinen free verse Pulli. Weil ich ihn frei, Reihe für Reihe, Vers für Vers gestrickt habe, mit unregelmässiger, kaum beachteter Metrik, das Reimschema recht wirr. Inhaltlich ist er ziemlich kryptisch. Nur an ein paar Stellen wird er konkreter und erzählt von Efeu und Zwiebeln.

Im Frühjahr hatte ich endlich mal rechtzeitig Efeubeeren gesammelt zum Färben. In der roten giftigen Farbbrühe nahm die mit Alaun vorgebeizte Wolle grüne Töne an, die in mehreren Nachbädern zwar schwächer wurden, aber doch eine Art Grün zeigten, dass ich mit anderen Pflanzen noch nie erhalten hatte. Braun und Rostrot stammen aus der Zwiebelschalenbrühe, die ich nach dem Ostereierfärben übrig hatte und noch für Wolle benutzt habe. Ich fand, dass sie einen brauchbaren Kontrast bildeten, damit der Pulli nicht zu monoton grün erscheinen würde.

Fotografieren lassen sich diese Farben schlecht. Vor der efeubewachsenen Mauer sah die Kamera ihn insgesamt als eher blau an. Vor dem helleren Hintergrund der ’schmerzensreichen‘ halben Tür erkannte sie etwas besser. Trotzdem musste ich noch ein wenig nachhelfen bei der Bearbeitung am laptop. Digitale Kameras sehen anders. Aber wie das jetzt auf einem anderen Computer erscheint, ist die Frage.

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Es ist gut, dass bei Texten Schwarz und Weiss eigentlich genügen.

Wie fühlt sich’s an

auf die Schippe genommen zu werden?

Also, der Mond ist rund, der Mond ist rund, er hat zwei Augen, Nas‘ und Mund.

Nein, um dieses Spiel geht es hier nicht, sondern um Frösche. Wir haben öfters welche im Haus. Ich erinnere mich noch gut an mein Erschrecken beim ersten Mal, als plötzlich etwas kleines Unbekanntes im Wohnzimmer um meine Beine hüpfte, das sich als froglet herausstellte. Andere, grössere wurden oft zuerst von den Hunden oder Katzen bemerkt. Einmal fiel mir in der Früh in der Küche am Boden ein Häufchen auf. Im ersten Moment verdächtigte ich einen Hund, dort etwas unanständigerweise hinterlassen zu haben. Aber es war ein Doppelfrosch, ein Pärchen, aufeinandergeschmiegt. Andere fanden wir als vertrocknete Mumien in wenig beachteten Ecken und Ritzen.

Gestern fegte ich vor der Hintertür – der Wind hatte schon wieder lauter Zeugs von den Bäumen geweht – und entfernte auch das Farnkraut, das sich dort angesiedelt hatte. Dabei schreckte ich einen relativ kleinen Frosch auf. Der im Polytunnel ist grõsser. Ich fühlte mich mal wieder nicht gut dabei.

Die Haustür war angelehnt. Gut angelehnt, wegen den Mäusen, die auch gerne ins Haus kommen. Kein kugelschreibergrosser Schlitz also. Er hüpfte zu diesem engen Schlitz und sass dort, als wartete er, dass ihm jemand die Tür aufmachen würde.

Ich nahm ihn auf die Schippe, um ihn woanders hüpfen zu lassen.

Das Glasschiebetürchen

In Wahrheit habe ich schon länger nicht jeden Tag gekritzelt, weil ich in einigen Dingen komisch bin. Ich habe oft genaue Vorstellungen, was ich haben will, bei Schuhen, Wachstischdecken und so. Und wenn ich nicht bekomme, was ich will, komme ich lieber ohne (neue) aus.

So will ich zum Kritzeln sketchbooks (wie heissen die auf Deutsch?) im Hochformat, mit festen Deckeln, und vor allem mit Ringbindung und heraustrennbaren Seiten. Die habe ich lange hier nicht mehr gefunden. Wieso gibt es immer wieder was nicht, was es eine ganze Zeitlang immer gab? Die mit der festen Bindung engen mich mental total ein. Da habe ich das Gefühl, ich müsste was bleibend Wertvolles hineinmalen. Ja, und ausserdem will ich weiche Bleistifte zum Kritzeln. Meine waren schon länger nur noch Stumpen. Das nahm mir den ganzen möglichen Schwung. Ich kritzle ja keine Kunst, aber wenn ich schon kritzle, will ich grösstmögliche Freiheit dabei haben.

So war ich seit geraumer Zeit, wenn ich in Carrick war, auf der Suche, in den Läden und Billigläden, die meinen Bedürfnissen früher genügten. Umsonst. Auch letzte Woche. Schliesslich ging ich wieder in den Laden, den es schon gibt, seit ich hier bin. In Carrick gibt es nur die Läden auf Dauer, die den Ladenbesitzern gehören, ist mein Verdacht. Die, die Miete bezahlen müssen, öffnen, und machen bald wieder dicht. Und es gibt viele leere Läden. In manchen, neu gebauten, war noch nie was drin. Aber dieser Laden ist genau so, wie er immer schon war.

Im Schaufenster sind immer Fotokameras. Wenn man rein kommt, gibt es im ersten Raum Schmuck. Nichts Besonderes, aber viel. Und hinten gibt es typisch irische Mitbringsel, allerlei Zeugs für spezielle Anlässe (Hochzeiten, Jubiläen und so was), Bilderrahmen und, ja, Künstlerbedarf. Und ganz hinten den Raum, wo man Passfotos machen kann, wenn man bei der deutschen Botschaft seinen Pass verlängern muss. Die, und Hochzeitsfotos und so was, macht der Besitzer des Ladens.

Er ist alt geworden. Dünn, und etwas zittrig. Aber er ist immer noch aktiv und liebenswürdig. Vorne hat er nun so Automaten, wo man digitale Fotos ausdrucken kann. Und unter dem Schmuck hat er Schubladen, in denen Nachfüllminen für Kugelschreiber sind, und Tinte. Da sucht er mir manchmal die raus für meinen Parkerfüller und -kuli. Und auch welche für einen Kuli aus Deutschland hatte er, und wusste sogar den Namen dafür. Woanders gibt es nur Wegwerfkulis.

Ja, als ich in den anderen Läden zwar Bleistiftpackungen fand, die versprachen ‚assorted‘, ich aber keine Stärken erkennen konnte – wohlweisslich waren sie fast alle so in der Packung, dass man die nicht sehen konnte, die sichtbaren waren alle B und HB – suchte ich in diesem Laden danach. Ein einziges sketchbook, das meinen Vorstellungen entsprach, hatte ich immerhin hinten in der Künstlerecke entdeckt. Aber die Bleistiftpackungen dort waren genau die gleichen wie überall.

Das kann nicht sein, denke ich. Mein Blick fällt auf das kleine verschlossene Glasschränkchen an der Wand dort. Darin war auch mein Füller- und Kuliset gewesen, als ich es vor ein paar Jahren gekauft hatte. Ich schaue nochmal hin: Da sind sie! Bleistifte, weiche Bleistifte! Eingesperrt wie etwas Wertvolles!

Ich bitte den alten Mann, es aufzuschliessen. Er tut’s, und schiebt das Türchen auf. Mit meiner Hilfe findet er mit zittrigen Händen die Packungen mit denen, die ich suche: 2B, 4B, 6B. Billig sind sie nicht.

An der Kasse ein etwa zwölfjähriger Junge. Ein Enkel, Urenkel? Es sind Ferien. Er weist ihn ein. Aber es ist der Junge, der aufpasst. Der alte Mann hätte mir auf 20 statt auf 15 Euro herausgegeben.