Vogelflughafen

Man sieht sie wieder hocken – in den kahlen Bäumen –
wie sie dort alle warten auf die Fütterung.
Wenn man davor schon mal hinausgeht, meinen sie,
es gibt etwas, und fliegen aufgeregt herum.
Wenn dann das Futter schliesslich ausgestreut wird,
fühlt man sich wie am Flughafen in London oder
Frankfurt. Da gehen grosse, kleine Flieger nieder.
Sie landen ohne Lotsen – alle auf einmal, scheint’s -,
wechseln Start- und Landebahnen nach Belieben
ständig, entscheiden über Warteschleifen, Gates
allein. Es landen Jumbos hier in Gruppen, fliegen
zusammen dann davon mit schwingenden Geräuschen.
Grosse Propellerflugzeuge wirken schwerfälliger
als kleine kamikazeschnelle Meisen.
Schwuppdiwupp tanken sie auf und sind sofort wieder
weg. Jeder braucht seinen ganz speziellen Kraftstoff,
die Schwarzen beispielsweise Biodiesel aus
Rosinen, die Bunten Sonnenblumennõl, und Rote
am liebsten Kuchenkrümel, doch tut es jetzt auch Gerste.
Fettball- und Erdnusskernzapfsäulen erzeugen Warte-
schlangen auf den Ästen nahebei. Bei all dem Andrang
gibt es Hierarchien höchstens zwischen Gleichen,
und nie stösst einer mit ’nem anderen zusammen.

Winterzeit

Hier um unser Haus herum
wird’s im Winter seid zwei Jahren
eine Stunde später finster
als um alle anderen.

Das ist immer noch zu früh,
aber nicht so unerträglich
und unsäglich traurig wie
Wintertage früher waren.

Müssen wir das Haus verlassen,
brauchen wir uns nicht beeilen,
sind wir doch den andern allen
in der Zeit voraus.

Können morgens länger schlafen
und verpassen nichts. Laufen
nicht Gefahr, zu spät zu kommen,
stellten andre ihre Uhren um.

Spätes Novemberküchenfenster

Tagsüber hat sich der Durchblick im Lauf des Monats verändert. Anfgangs wedelten noch voll bekleidete Eschen im Wind. Was sie sprachen, verstand ich nicht. Nun sind sie kahl geworden, schweigsam und ruhig.

Herinnen hat die Orchidee nach einem Jahr wieder Blüten hervorgebracht. Der Weihnachtskaktus sieht auch aus wie damals. Als ich ihn gekauft habe. Voll mit roten Blüten und vielversprechenden roten Knospen. Den Namen ihrer Farbe kenne ich nicht. Nach dem Umzug vom Gewächshaus via Aldi hat er sie letztes Jahr alle abgeworfen. Inzwischen hat er sich hoffentlich hier eingewöhnt.

Die Kürbisse, aus Samen gezogen, die ich aus DE mitbrachte, haben sich im Lauf des Monats kaum verändert. Nur ein grüner ist plötzlich auch orange geworden. Eigenartig. Keiner sieht aus wie der, aus dem ich die Samen entnommen hatte. So anders sehen sie aus, und jeder verschieden, dass ich unsicher bin, ob man sie essen kann.

Das Basilikum habe ich endlich weggeworfen, weil es stetig mickriger geworden war.

Stattdessen habe ich den Kopf der Ananas, die ich köpfte, in ein Schüsselchen mit Wasser gestellt, in der Hoffnung, dass er Wurzeln schlägt. Mit Ananas kenne ich mich gar nicht aus.

Lauter Exoten, Einwanderer, blow-ins.

Äpfel aus dem Garten liegen in einer Schüssel auf dem Kühlschrank.

(Fast wage ich es nicht, die Grapefruits und die letzte Banane dort zu erwähnen.)

Sich einfach gut fühlen

Ich fühl‘ mich heute Abend richtig gut.
Warum? Das weiss ich nicht.
Alles scheint zu passen. So
fühlt sich’s an, dieses Gefühl,
zweifellos und ohne Furcht,
etwas zu verpassen oder schon
versäumt zu haben. Richtig aufgeräumt.
Freu mich auf das Abendessen.
Hab ich vielleicht doch
etwas vergessen? Ganz egal.
Ich fühl‘ mich – einfach – gut.

Veränderung

Heute begann der Web Summit in Dublin. Gipfel der digitalen Erneuerungen. Die Irish Times berichtet begeistert, dass 20 000 Teilnehmer erwartet werden. Über eine neuere App berichtet sie ausführlicher. (Wie heissen die auf Deutsch? Applikationen?)

Damit kann man nun schon in einigen Pubs von seinem Tisch aus, oder bevor man überhaupt dort eingetroffen ist, Getränke und Speisen bestellen und mit Paypal oder Kreditkarte bezahlen. Keine Kommunikation im Pub mehr nötig. Wird einem alles dann prompt serviert.

Gleichzeitig erfuhr ich heute von einem Zitat in der Autobiographie des schottischen Autors John Buchan. Dieser schrieb es Lord Falkland zu. Den habe ich nun nicht weiter gegoogelt, denn mich überzeugt das, egal, von wem es ist:

“When it is not necessary to change, it is necessary not to change.”

John Buchan: Memory Hold-The-Door. Hodder and Stoughton LTD., 1942, p. 40

Curtains of Rain

Verserzähler hat mich angeregt zu kruschteln, um dieses schon ältere Gedicht zu finden, das erfreulicherweise dieses Jahr so nicht zutraf.

There are curtains of rain.
The day outside is grey.
Trees still have leaves
that don’t move
in wind like yesterday.
All is wet.

The ground is soaking wet
from all the rain
since yesterday,
but the wood pigeons’ plump grey
bodies heavily move
the elderberry’s leaves.

The rain leaves
everything sopping wet.
I hardly move
under straight curtains of rain.
Today is grey
like yesterday.

Since yesterday
even the ashes’ leaves
seem ash-grey.
Wet curtains wet
them. In heavy rain
sheep don’t like to move.

Let us move
on from yesterday.
There will be rain,
but no leaves,
in the wet
of winter’s grey

months that lie ahead. Grey
bare-branched months. We’ll move
on soaked, wet
soil, like yesterday.
Today’s leaves
part of mud under boots and curtains of rain.

Then new leaves will move.
Rain will wet them again,
and winter’s grey will be yesterday.

Polizisten etc.

Ich wusste nur, das G.K. Chesterton Autor der Father Brown Geschichten war. Nie gelesen, nur als Kind die Pater Brown Serien mit Joseph Meinrad geguckt. Nun las ich von ihm The Man Who Was Thursday, was ganz anderes. Aber ich wusste es vorher nicht. Deswegen las ich es mit der Erwartung, eine Kriminalgeschichte vor mir zu haben. Ein wenig komisch fing sie schon an. Aber na ja, gibt es. Hauptfigur Syme trifft einen anarchistischen Poeten und wird an seiner Stelle ‚Thursday‘, Mitglied einer anarchistischen Vereinigung, deren Mitglieder nach Wochennamen benannt sind. Er fühlt sich dort nicht wohl, will gegen die Organisation angehen. Nach der ersten Sitzung, an der er teilnimmt, wird er verfolgt von einem anderen Mitglied, das dazu aufgrund seiner körperlichen Verfassung gar nicht in der Lage sein sollte. Nach und nach stellt sich heraus, dass sowohl Syme als auch die anderen Mitglieder, ausser Sunday, Polizisten sind, die gegen diese anarchistische Vereinigung vorgehen sollen, angestellt dazu von … Sunday. Es passieren obskure Dinge, am Ende rätselt man, wer Sunday wohl sein mag. Auch ich hatte Gott im Sinn, aber dagegen wehrt sich Chesterton in einem Artikel, der einen Tag vor seinem Tod (1936) veröffentlicht wird. Er weist auf den Untertitel dieses Werkes hin: “A nightmare”. Und in der Tat, liest man es so, fallen all die so seltsam erscheinenden Geschehnisse an ihren Platz. Ein Traum, und eine unheimlich gute Beschreibung dessen, wie Träume ablaufen. Zumindest die, die ich kenne.

Abgesehen davon, dass mich dieser Hinweis auf den Titel erinnert an eine Diskussion des Gedichtes Coyote von Paul Muldoon, bei der er stillschweigend bis zum Ende den teilweise obstrusen Interpretationen zugehört hatte, um dann darauf hinzuweisen, dass ein Titel unter anderem ein ’signpost‘, ein Wegweiser sein kann, erinnerte ich mich nach dem Lesen von ‚Thursday‘ auch an ein anderes Werk: The Third Policeman von, ja von wem? Der Autor hat unter verschiedenen Namen veröffentlicht: Brian O’Nolan, Flann O’Brian und Myles na gCopaleen (Kolumnist in der Irish Times). The Third Policeman ist ähnlich skurril wie ‚Thursday‘. Die Auflösung jedoch etwas anders, will ich nicht jetzt verraten. Er hat The Third Policeman nicht veröffentlicht bekommen, dann behauptet, er hätte das Manuskript verloren. Es wurde erst ein Jahr nach seinem Tod veröffentlicht (1967). Ich frage mich nun, ob in Titel und Geschichte nicht eine Anspielung auf Chestertons Thursday versteckt ist.

Die Pseudonyme aber erinnern mich wieder an Pessoa, und daran, dass ich nicht dazu komme, mit Caeiro weiterzumachen. Schon länger lese ich in The Book of Disquiet, geschrieben von Pessoas Heteronym Bernardo Soares, und auch erst – lange – nach Pessoas Tod veröffentlicht. Aus diesem Buch ist fast jeder Satz zitierbar. Es ist eigentlich unlesbar, weil sprachlich und inhaltlich an fast jeder Stelle überwältigend treffsicher.

Rubus fructicosus

Heuer sind die Hecken überall
prall gefüllt mit schwarzen Sammelfrüchten.
Auf den Erd- und Mauerwällen hängen
über Heidekraut und Heidelbeeren,
hinter Zäunen, zwischen Weiss- und Schlehen-
dornen, an den eignen stacheligen
Ranken ungezählte Kugelkugeln,
prall gefüllt mit dunkelviolettem Saft,
der meine Finger färbt. Vorsichtig
pflücken sie die Beeren, um nicht Blut
zu mischen in die Marmelade, in den
Kuchen, ins Dessert. Herbstlich färben
meine schwarzen Sammelfrüchte weisse
Wolle heiter fliederfarben – dabei spielt
ein bisschen Blut kaum eine Rolle.
Mit Alaun gebeizt wird sie im selben
Farbbad aber BROMBEER-blau.

Das Gedicht ist schon ein Jahr alt. Es trifft aber auf heuer auch wieder zu. Über meine Färbeversuche damals habe ich einen Beitrag fürs Lavendelschaf geschrieben, der im gerade erschienenen neuen Heft enthalten ist. Diese Zeitschrift erinnert mich an wabbabbel und vice versa. Weil sie auch ein Gemeinschaftsprojekt ist, ermöglicht und seit mehr als zehn Jahren vierteljährlich auf die Beine gestellt von einer idealistischen Frau. Falls Leser Leute kennen, die sich dafür interessieren würden: Bitte weitersagen.