Das Glasschiebetürchen

In Wahrheit habe ich schon länger nicht jeden Tag gekritzelt, weil ich in einigen Dingen komisch bin. Ich habe oft genaue Vorstellungen, was ich haben will, bei Schuhen, Wachstischdecken und so. Und wenn ich nicht bekomme, was ich will, komme ich lieber ohne (neue) aus.

So will ich zum Kritzeln sketchbooks (wie heissen die auf Deutsch?) im Hochformat, mit festen Deckeln, und vor allem mit Ringbindung und heraustrennbaren Seiten. Die habe ich lange hier nicht mehr gefunden. Wieso gibt es immer wieder was nicht, was es eine ganze Zeitlang immer gab? Die mit der festen Bindung engen mich mental total ein. Da habe ich das Gefühl, ich müsste was bleibend Wertvolles hineinmalen. Ja, und ausserdem will ich weiche Bleistifte zum Kritzeln. Meine waren schon länger nur noch Stumpen. Das nahm mir den ganzen möglichen Schwung. Ich kritzle ja keine Kunst, aber wenn ich schon kritzle, will ich grösstmögliche Freiheit dabei haben.

So war ich seit geraumer Zeit, wenn ich in Carrick war, auf der Suche, in den Läden und Billigläden, die meinen Bedürfnissen früher genügten. Umsonst. Auch letzte Woche. Schliesslich ging ich wieder in den Laden, den es schon gibt, seit ich hier bin. In Carrick gibt es nur die Läden auf Dauer, die den Ladenbesitzern gehören, ist mein Verdacht. Die, die Miete bezahlen müssen, öffnen, und machen bald wieder dicht. Und es gibt viele leere Läden. In manchen, neu gebauten, war noch nie was drin. Aber dieser Laden ist genau so, wie er immer schon war.

Im Schaufenster sind immer Fotokameras. Wenn man rein kommt, gibt es im ersten Raum Schmuck. Nichts Besonderes, aber viel. Und hinten gibt es typisch irische Mitbringsel, allerlei Zeugs für spezielle Anlässe (Hochzeiten, Jubiläen und so was), Bilderrahmen und, ja, Künstlerbedarf. Und ganz hinten den Raum, wo man Passfotos machen kann, wenn man bei der deutschen Botschaft seinen Pass verlängern muss. Die, und Hochzeitsfotos und so was, macht der Besitzer des Ladens.

Er ist alt geworden. Dünn, und etwas zittrig. Aber er ist immer noch aktiv und liebenswürdig. Vorne hat er nun so Automaten, wo man digitale Fotos ausdrucken kann. Und unter dem Schmuck hat er Schubladen, in denen Nachfüllminen für Kugelschreiber sind, und Tinte. Da sucht er mir manchmal die raus für meinen Parkerfüller und -kuli. Und auch welche für einen Kuli aus Deutschland hatte er, und wusste sogar den Namen dafür. Woanders gibt es nur Wegwerfkulis.

Ja, als ich in den anderen Läden zwar Bleistiftpackungen fand, die versprachen ‚assorted‘, ich aber keine Stärken erkennen konnte – wohlweisslich waren sie fast alle so in der Packung, dass man die nicht sehen konnte, die sichtbaren waren alle B und HB – suchte ich in diesem Laden danach. Ein einziges sketchbook, das meinen Vorstellungen entsprach, hatte ich immerhin hinten in der Künstlerecke entdeckt. Aber die Bleistiftpackungen dort waren genau die gleichen wie überall.

Das kann nicht sein, denke ich. Mein Blick fällt auf das kleine verschlossene Glasschränkchen an der Wand dort. Darin war auch mein Füller- und Kuliset gewesen, als ich es vor ein paar Jahren gekauft hatte. Ich schaue nochmal hin: Da sind sie! Bleistifte, weiche Bleistifte! Eingesperrt wie etwas Wertvolles!

Ich bitte den alten Mann, es aufzuschliessen. Er tut’s, und schiebt das Türchen auf. Mit meiner Hilfe findet er mit zittrigen Händen die Packungen mit denen, die ich suche: 2B, 4B, 6B. Billig sind sie nicht.

An der Kasse ein etwa zwölfjähriger Junge. Ein Enkel, Urenkel? Es sind Ferien. Er weist ihn ein. Aber es ist der Junge, der aufpasst. Der alte Mann hätte mir auf 20 statt auf 15 Euro herausgegeben.

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