„Ob hier schon jemand vor mir ging?“

Seit ich immer schlechter höre, neige ich dazu, wenig Worte zu verlieren. Bin auch beim Zuhören froh, wenn andere auf den Punkt kommen, nicht ausschweifen. Ich bin darüber selbst nicht immer glücklich.
Längere Lyrikformen, wie die Glosa/Glosse, auf die ich anderswo gestossen bin, bringen mich dann dazu, doch mal wieder etwas ausführlicher zu formulieren.

Und es war gut, mal wieder in Christine Lavants Lyrik geguckt zu haben. Gäbe es (gibt es?) outsider lyric, dann würde sie wohl darunter fallen.

Ob hier schon jemand vor mir ging?
Die Gegend will mich fürchten lehren.
Mein Herz ist längst ein Pfifferling,
die Augen sind zwei Stachelbeeren.

Christine Lavant

In dieser Landschaft scheint der Mond,
beleuchtet Wiesen, dunkle Wege,
Wald und Unterholz nur spärlich.
Dort verirr ich mich fast jährlich,
fasziniert von all den Formen,
die entgegen aller Normen
existieren, mehr noch: wuchern.
Wie Efeu an den Bäumen hing.
Hat sich der Weg gelohnt?
Ob hier schon jemand vor mir ging?

Der Wald, er zieht mich rein in sich.
Ich stolper über altes Holz,
verlorne Äste, Erde, Schlamm,
es blökt hier nicht ein einziges Lamm.
Was tu ich nur hier drinnen?
Die Zeit will nicht verrinnen.
Was will der Zweige Knacken sagen?
Die Laute, die sich nun vermehren,
leise, aber schauerlich?
Die Gegend will mich fürchten lehren.

Ich lese ihren Text allein,
Das Moos ist weich, des Tages Vögel
ruhig geworden. Sie hocken gut
versteckt. Auch ich bin auf der Hut.
Ein Flügelschlag? Die Eule fliegt
doch lautlos sonst. Der Nebel liegt
inzwischen überall hier.
Was ist auf einmal dieses Ding,
auf das ich trete, hart und klein?
Mein Herz ist längst ein Pfifferling,

Ich trete aus dem dunklen Wald,
der Mond scheint heller hier, auf Obst
im Früchtegarten. Ăpfel liegen,
zerstreut am Boden. Äste biegen
sich unter ihrer Last hernieder,
der Herbst des Jahres hat uns wieder
reifen lassen. Der Wind empfiehlt:
Sei still! Ist sinnlos, sich zu wehren
gegen Verse. Schau halt.
Die Augen sind zwei Stachelbeeren.

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