Alberto Caeiro: The keeper of sheep (I)

Es folgt Text IX aus Alberto Caeiros Werk. Ins Englische wurde dessen Titel übersetzt als “The keeper of sheep”, ins Deutsche als “Der Hüter der Herden”. Der Titel des Originals ist “O Guardador de Rebanhos”.

Ich habe jetzt was gemacht, was eigentlich copyright-frei sein sollte: Ich habe den Originaltext von hier in Google translator eingegeben, und dann auf dem Hintergrund der englischen Übersetzung mit Blick, so weit ich ihn haben kann, aufs Portugiesische, und auf die Google Übersetzung, eine eigene deutsche Fassung gebastelt. Ich werde das wohl noch öfters machen, denn ich finde dieses Werk faszinierend, und will, wenn ich dazu komme, noch einiges dazu schreiben.

Ich bin ein Schafhalter.
Meine Gedanken sind meine Herde
Und alle meine Gedanken sind Empfindungen.
Ich denke mit Augen und Ohren
Und mit Händen und Füssen
Und mit Nase und Mund.

Eine Blume zu denken, ist sie zu sehen und zu riechen
Und eine Frucht zu essen, ist ihre Bedeutung kennen.

Wenn ich an einem heissen Tag
Mich traurig fühle, weil ich ihn so sehr geniesse,
Und mich ins hohe Gras lege
Und die Augen schliesse,
fühle ich meinen Körper in der Wirklichkeit liegen,
erkenne die Wahrheit und bin glücklich.

Alberto Caeiro ist eines der vielen Heteronyme von Fernando Pessoa (1888 – 1935). Das, welchem ich mich am meisten verwandt fühle. Aber Caeiro ist doch auch ein Fuchs, und widersprüchlich. Dazu hoffentlich demnächst mehr.

Dieser Text gefällt mir deshalb so gut, weil ich ihn so wunderbar analog zur Perspektive eines Schafes lesen kann.
Auch wenn es schon alt war, wie dieses:

P1070954

Vogeltränke

Die kleinen setzen sich manierlich auf den Rand,
tauchen ihre Schnäbel in das Wasser,
strecken danach Kopf und Hals nach oben,
lassen so das Nass wie Sportler in die Gurgeln laufen.
Grosse aber: Amseln, Tauben,
verbinden dort, so hab ich jetzt erkannt,
bei heissem Wetter gern ein Fussbad mit dem Saufen.

Keiner kommt ungeschoren davon

Blut, Blutergüsse, dicke Schwellung, Schock!
Man trägt deswegen einmal wieder Rock.
So alt ist er wie Rahmen und geteilte Tür,
welche die Schafe aus den Angeln hoben,
aber nicht morsch, war er ja nicht andauernd
dem Wetter ausgesetzt. Das shed ist gut
zum Schafe fangen, denn davor sind sie auf der Hut.
Man braucht halt eine Tür dafür.

So stellt man wenigstens das halbe Teil von oben
am Eingang hin und hält es da, während darinnen
ein Schaf gefangen wird. Doch währenddessen suchen
– und finden – zwei andre vehement den Weg heraus
und schrammen einem mit der halben Tür die Beine auf.
Man könnte sie manchmal verfluchen.

Dafür sehen nun alle nackig aus.

Matthew Arnold: Dover Beach

Wie versprochen. Aber Achtung: lang, und viel Englisch.

DOVER BEACH
The sea is calm to-night.
The tide is full, the moon lies fair
Upon the straits;—on the French coast the light
Gleams and is gone; the cliffs of England stand,
Glimmering and vast, out in the tranquil bay.
Come to the window, sweet is the night-air!
Only, from the long line of spray
Where the sea meets the moon-blanch’d land,
Listen! you hear the grating roar
Of pebbles which the waves draw back, and fling,
At their return, up the high strand,
Begin, and cease, and then again begin,
With tremulous cadence slow, and bring
The eternal note of sadness in.

Sophocles long ago
Heard it on the Ægæan, and it brought
Into his mind the turbid ebb and flow
Of human misery; we
Find also in the sound a thought,
Hearing it by this distant northern sea.

The Sea of Faith
Was once, too, at the full, and round earth’s shore
Lay like the folds of a bright girdle furl’d.
But now I only hear
Its melancholy, long, withdrawing roar,
Retreating, to the breath
Of the night-wind, down the vast edges drear
And naked shingles of the world.

Ah, love, let us be true
To one another! for the world, which seems
To lie before us like a land of dreams,
So various, so beautiful, so new,
Hath really neither joy, nor love, nor light,
Nor certitude, nor peace, nor help for pain;
And we are here as on a darkling plain
Swept with confused alarms of struggle and flight,
Where ignorant armies clash by night.

Nicht nur der Rhythmus gefiel mir im ersten Teil von Dover Beach, auch die Naturbeschreibung, und beides geht für mich wunderbar zusammen hier:

“Listen! you hear the grating roar
Of pebbles which the waves draw back, and fling,
At their return, up the high strand,
Begin, and cease, and then again begin,
With tremulous cadence slow,”

Danach beginnt das, was ich hier als miesepetrig bezeichnet habe. Das Zweifeln. Aber ich sollte da gar nicht so darüberstehen, und tue es auch nicht. Habe ich doch selber Zweifel geäussert hinsichtlich dessen, was mein Blog eigentlich soll, warum ich schreibe, was ich schreibe, wieso ich schreibe, um nur die hier relevantesten zu wiederholen.

Ich habe herausgefunden, dass Arnolds eigentlich gesucht hat, was ich in meiner Parodie beschrieben habe: serenity. Nur hatte er da furchtbar hohe Ansprüche. Vor allem, wenn es um Literatur ging. Ihn hatte nicht das Spektakel kauender Schafe, oder das von fliegenden Ameisen interessiert, sondern das menschlich soziale und gesellschaftliche, auch das kriegerische, das es intellektuell zu verarbeiten galt, um zu geistiger Befreiung zu gelangen.

Woher ich das weiss, wo ich doch so gut wie nix anderes von ihm gelesen habe als dieses Gedicht?

Aus Paul Muldoons Buch “The End of the Poem”*, und ich glaube Paul Muldoon. Nicht, weil er einer der wenigen Dichter ist, den ich live erlebt habe. Sondern deswegen, wie ich ihn erlebt habe. Ja, also, in dem Buch sind seine Oxford Lectures versammelt, die er als Professor for Poetry von 1999 bis 2004 an der Oxford University gehalten hat. Unglaublich forensisch berichtet er darin, was in 18 Gedichte – die meisten aus dem 20. Jh. – an Bibliographischem und Biographischem eingegangen ist. Das liest sich dann jedesmal fast wie ein Krimi. Und für Dover Beach hat mir das schon etwas gebracht, weil es meine Lesart eines für mich doch recht altmodisch anmutenden Gedichtes erhellt hat.

Arnold hatte denselben Job wie Muldoon in Oxford, nur viel früher: von 1857 bis 1867. Muldoons Leitfaden in der Vorlesung zu Dover Beach ist die Frage, warum Arnold es erst 1867 veröffentlichte, wo er es ziemlich sicher schon in 1851 geschrieben hatte, als/nachdem er mit seiner Frau auf Hochzeitsreise in Dover war. Er kommt zu dem Schluss, dass Arnold das Gedicht unterdrückt hat, weil er mit ihm seinen eigenen Überzeugungen widersprach, er seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde, und er dazu zunächst nicht stehen konnte. Das ist für mich, unter vielerlei Infos zu Arnolds Leben und Textschnipseln aus Werken anderer, die Muldoon in seiner Vorlesung berichtet und in Beziehung zueinander setzt, das Interessanteste. Dabei zitiert er aus Arnolds eigener Antrittsvorlesung in Oxford: “On the Modern Element in Literature”:

“But first let us ask ourselves why the demand for an
intellectual deliverance arises in such an age as the present,
and in what the deliverance itself consists ? The demand
arises, because our present age has around it a copious
and complex present, and behind it a copious and complex
past ; it arises, because the present age exhibits to the
individual man who contemplates it the spectacle of
a vast multitude of facts awaiting and inviting his com-
prehension. The deliverance consists in man’s comprehen-
sion of this present and past. It begins when our mind
begins to enter into possession of the general ideas which
are the law of this vast multitude of facts. It is perfect
when we have acquired that harmonious acquiescence of
mind which we feel in contemplating a grand spectacle
that is intelligible to us ; when we have lost that impatient
irritation of mind which we feel in presence of an immense,
moving, confused spectacle which, while it perpetually
excites our curiosity, perpetually baffles our comprehension.”

Muldoon weist auf einiges hin, was an Worten oder Phrasen sowohl in der Vorlesung als auch im Gedicht vorkommt. Das will ich hier nicht alles wiederholen. Interessant finde ich die Beschreibung dessen, was Arnold irritiert. Das klingt mir fast nach eigenen Worten.

So weit so gut, aber nun hat Arnold, und da wird er mir fremd, ziemlich hohe Vorstellungen davon, was es bedarf in der Literatur zu intellektueller Befreiung: Adäquatheit. Sein Modell, sein Vorbild ist ein ziemlich altes: Das 5. Jh. v. Chr. Pericles und Sophokles. Seines Erachtens stimmte damals alles. Sophokles‘ Dichtung passte zum Leben, zur Gesellschaft. Über ihr liegt “der Charme jener edlen Gemütsruhe, die immer wahre Einsicht begleitet.”:

“Next comes the question : Is this
epoch adequately interpreted by its highest literature ?
Now, the peculiar characteristic of the highest literature
— the poetry — of the fifth century in Greece before the
Christian era, is its adequacy ; the peculiar characteristic
of the poetry of Sophocles is its consummate, its unrivalled
adequacy ; that it represents the highly developed human
nature of that age — human nature developed in a number
of directions, politically, socially, religiously, morally
developed — in its completest and most harmonious develop-
ment in all these directions ; while there is shed over this
poetry the charm of that noble serenity which always
accompanies true insight, / If in the body of Athenians of
that time there was, as we have said, the utmost energy
of mature manhood, public and private ; the most entire
freedom, the most unprejudiced and intelligent observa-
tion of human affairs — in Sophocles there is the same
energy, the same maturity, the same freedom, the same
intelligent observation ; but all these idealized and glorified
by the grace and light shed over them from the noblest
poetical feeling.”

Puh.

Über Lukrez sagt er hingegen:

“Let us begin with a great poet, a great philosopher, Lucretius.
Let me call attention to the exhibition in Lucretius of a modern feeling,
not less remarkable than the modern thought in Thucydides.
The predominance of thought, of reflection, in modern
epochs is not without its penalties ; in the unsound, in
the over-tasked, in the over-sensitive, it has produced the
most painful, the most lamentable results ; it has produced
a state of feeling unknown to less enlightened but perhaps
healthier epochs — the feeling of depression, the feeling of
ennui. Depression and ennui ; these are the characteristics
stamped on how many of the representative works of
modern times ! they are also the characteristics stamped
on the poem of Lucretius. One of the most powerful, the
most solemn passages of the work of Lucretius, one of the
most powerful, the most solemn passages in the literature
of the whole world, is the well-known conclusion of the
third book. With masterly touches he exhibits the lassi-
tude, the incurable tedium which pursue men in their
amusements ; with indignant irony he upbraids them for
the cowardice with which they cling to a life which for
most is miserable ; to a life which contains, for the most
fortunate, nothing but the old dull round of the same
unsatisfying objects for ever presented. ‚ A man rushes
abroad,‘ he says, ‚ because he is sick of being at home ;
and suddenly comes home again because he finds himself
no whit easier abroad. He posts as fast as his horses can
take him to his country-seat : when he has got there he
hesitates what to do ; or he throws himself down moodily
to sleep, and seeks forgetfulness in that ; or he makes the
best of his way back to town again with the same speed
as he fled from it. Thus every one flies from himself.‘

Yes, Lucretius is modern ; but is he adequate ? And
how can a man adequately interpret the activity of his
age when he is not in sympathy with it ? Think of the
varied, the abundant, the wide spectacle of the Roman
life of his day ; think of its fulness of occupation, its
energy of effort. From these Lucretius withdraws him-
self, and bids his disciples to withdraw themselves ; he
bids them to leave the business of the world, and to apply
themselves ‚ naturam cognoscere rerum — to learn the nature
of things ; ‚ but there is no peace, no cheerfulness for him
either in the world from which he comes, or in the solitude
to which he goes. With stern effort, with gloomy despair,
he seems to rivet his eyes on the elementary reality, the
naked framework of the world, because the world in its
fulness and movement is too exciting a spectacle for his
discomposed brain. He seems to feel the spectacle of it
at once terrifying and alluring ; and to deliver himself
from it he has to keep perpetually repeating his formula
of disenchantment and annihilation. … Lucretius is, there-
fore, overstrained, gloom-weighted, morbid ; and he who
is morbid is no adequate interpreter of his age.”

Mir kommt das so vor, als, auch wenn es zutreffen würde über eine Zeit, ein Dichter so seine Welt nicht beschreiben sollte. Mir gefällt das gerade an Lukrez, wie er sozusagen keine Umschweife macht. Und dass er,
so wie ich ihn verstanden hatte, zudem den Menschen unnötige Ängste nehmen wollte, z.B. die vor dem Tod. Ich habe mittlerweile gesehen, dass Arnolds sehr viel Prosa über die Politik seiner Zeit geschrieben hat. Sehr viel. Und er war Schulinspektor. Ich meine, ich spüre in seiner Herangehensweise etwas Inspektorisches. Die Suche nach Adäquatheit ist eine von jemandem, der darübersteht, oder stehen will. Und darin gelte es, die intellektuelle Befreiung, die er sucht, zu finden.

Doch ist ihm, zumindest in Dover Beach, das nicht gelungen. Zu den letzten Zeilen des Gedichtes

“And we are here as on a darkling plain
Swept with confused alarms of struggle and flight,
Where ignorant armies clash by night.”

notiert Muldoon am Ende seiner Vorlesung:
“Der “clash” bezieht sich daher nicht nur auf den “lauten Krach des Aufeinanderschlagens von Waffen, sondern auf “den Konflikt oder die Kollision entgegengesetzter Argumente oder Meinungen” (OED), so dass die von Matthew Arnolds vertretene “Forderung nach intellektueller Befreiung als Ziel von Dichtung durch das Ende des Gedichtes selbst widerlegt wird.“

* Paul Muldoon: The End of the Poem. Farrar, Strauss and Giroux, 2006. Chapter 13
Matthew Arnold: On the Modern Element in Literature gibt es hier

Eine ganz andere Parodie auf Dover Beach findet man z.B. hier:

Lukrez (2): Dichterbekenntnis

Dieses Dichterbekenntnis von Lukrez will ich hier doch noch einstellen, bevor mein Kreisel weiterzieht, weil er hier beschreibt, warum er De rerum natura eine poetische Form gegeben hat:

Poetische Einlage. Dichterbekenntnis

Auf, nun lern auch das Übrige jetzt und vernimm es noch klarer!

Freilich entgeht es mir nicht, welch dunkles Gebiet ich betrete,

Aber die Hoffnung auf Ruhm hat den Geist mir mächtig erschüttert,

Wie mit dem Thyrsusstab, und sie weckte in meinem Gemüte

Süßeste Lust zum Gesang. Sie trieb mich, mit strebendem Geiste

Unwegsame, von niemand betretene Musengefilde

Zu durchwandern. Da freut’s, jungfräuliche Quellen zu finden,

Draus ich schöpfe, da freut’s, frischsprießende Blumen zu pflücken,

Und sie zum herrlichen Kranz um das Haupt mir zu winden, wie solchen

Keinem der Früheren je um die Schläfen gewunden die Musen.

Denn mein Gesang gilt erstlich erhabenen Dingen: ich strebe,

Weiter den Geist aus den Banden der Religion zu befreien.

Ferner erleuchtet mein Dichten die Dunkelheit dieses Gebietes

Hell, weil über das Ganze der Zauber der Musen sich breitet.

Denn auch der Versschmuck wurde mit vollem Bedachte gewählet.

Wie, wenn die Ärzte den Kindern die widrigen Wermutstropfen

Reichen, sie erst ringsum die Ränder des Bechers bestreichen

Mit süßschmeckendem Seime des goldigfarbenen Honigs,

Um die Jugend des Kindes, die ahnungslose, zu täuschen:

Während die Lippen ihn kosten, verschluckt es indessen den bittern

Wermutstropfen. So wird es getäuscht wohl, doch nicht betrogen,

Da es vielmehr nur so sich erholt und Genesung ermöglicht.

So nun wollt‘ ich auch selber, weil unsere Lehre den meisten,

Die noch nie sie gehört, zu trocken erscheint und der Pöbel

Schaudernd von ihr sich kehrt, mit der Dichtung süßestem Wohlklang

Unsere Philosophie dir künden und faßlich erläutern

Und sie gleichsam versüßen mit lieblichem Honig der Musen,

Ob es mir so wohl gelingt, dein Denken bei unseren Versen

Solang fesseln zu können, bis alles du völlig begreifest,

Welche Gestalt der Natur ureigenem Wesen zum Schmuck ward.

D… Fields

(after Matthew Arnold)

The grass will dry today.
The sun is full, the ground lies fair
Under my seat; – on Leitrim gley the hay
Dries or is gone; the nearby mountain stands
Glowing and vast, above this tranquil spot.
Come and sit down, sweet is the summer-air!
Not just from the long rows we got
Where the wind meets the sun-lit lands.
Look here! See the contented stare
Of sheep: the cud drawn back, and flung
At its return, up in the ruminants,
Chewing begun, and ceased, and then again begun
With constant rhythm slow, – in none
Of this a taste of sadness swung.

Epicurus long ago (I guess)
Saw it on the Aegean, and it brought
Into his mind the imperturbed happiness
Of ataraxia; we
Find also in the rhythm a thought,
Watching it in this distant northern breeze.

note: “Ataraxia, Greek: unperturbedness, serenity, peace of mind. The Epicureans taught that ataraxia is the essential ingredient in happiness, the most desirable state of human existence.” The Penguin Dictionary of Philosophy

Klingt nicht so ganz nach mir, gell?
Es handelt sich ja auch um eine Parodie auf die ersten zwei Strophen eines Gedichts von Matthew Arnold, das ich im Lesekreisel einstellen will, wenn ich mal einiges dazu zusammengeschrieben habe. Ich fand den Rhythmus und die Sprache des Originals “intriguing”, nicht aber das Miesepetrige der Stimmung und des Inhalts, deshalb habe ich es, sprachlichen Aufbau so weit wie möglich erhaltend, vor etwas mehr als einem Jahr mit anderen Worten “gefüllt”.

Ach ja, wir haben wider Erwarten, wie gewünscht, fast so ein gutes Wetter wie in meiner Parodie. (Die auch eine Humoreske auf das hiesige Wetter ist.)

Wer den Titel des Originals als erster herausfindet, bekommt von mir eine Mütze aus der Wolle der in meinem Text erwåhnten Schafe.

Lukrez: Spracherfinder gibt es nicht

Ich finde, dieser Text ist in mehrerlei Hinsicht ein guter Start für die Lesekreiselreisen hier. Ich fand ihn, weil ich wissen wollte, was und wie Lukrez geschrieben hat. Ich wollte das wissen, weil ich las, dass Francis Ponge ihn besonders mochte, Matthew Arnolds nicht.

In meinem Kindlers Literaturlexikon (1974) steht: “Durch sein archaisierendes Sprachkolorit steht in der Nachfolge des Ennius der schon genannte Epikureer LUKREZ (ca. 95-55 v. Chr.), der in seinem Werk De rerum natura über den L’art -pour -l’art– Standpunkt der alexandrinischen Repräsentaten didaktischer Poesie hinauswächst, die philosophischen Gehalte des attischen Denkens mit einer einzigartigen Dynamik ergreift und dabei die Subtilitäten der Epikureischen “Physiologia” durch ein in seiner Art grandioses Wohlgefühl adelt.  Das Lehrgedicht wahrt den Zusammenhang mit der Poesie … durch die Elemente einer ganz individuellen Naturbetrachtung, …” (Bd.1, S. 127)

Das machte mich doch gespannt auf das Werk.

 

Wahnsinn ist es daher an einen Erfinder zu glauben,
Der einst Namen den Dingen verliehn und den Menschen die ersten
Wörter gelehrt. Weshalb hat denn dieser allein es verstanden,
Alles mit Worten zu nennen und Laute verschieden zu bilden,
Während zur selbigen Zeit dies keiner der ändern vermochte?
Wenn zudem nicht auch andre sich untereinander der Sprache
Hätten bedient, wie kam man dazu den Nutzen der Sprache
Einzusehn, und woher ward diesem zuerst das Vermögen,
Was er gedachte zu tun, im Geiste voraus zu ermessen?
Ebenso war es unmöglich als einer die vielen zu zwingen,
Daß sie willig sich fügten, die Namen der Dinge zu lernen,
Noch war es irgend leicht, vor tauben Ohren zu lehren
Und ihr Tun zu beraten. Sie würden auch nimmer es dulden
Und durchaus nicht ertragen, wenn einer noch weiter vergeblich
Ihnen das Ohr vollstopfte mit nimmer vernommenen Lauten.
Endlich was ist denn dabei so sehr zu verwundern, wenn wirklich
Unser Menschengeschlecht, deß Stimme und Zunge gesund war,
Nach den verschiednen Gefühlen den Dingen verschiedenen Laut gab.
Läßt doch auch stummes Vieh, ja selbst die Sippen des Wildes
Ganz verschiedene Töne und mancherlei Laute vernehmen,
Wenn bald Furcht, bald Schmerz, bald schwellende Lust sie beweget.
Denn dies läßt sich ja doch aus bekannten Erscheinungen lernen.
Wenn die gewaltige Dogge molossischer Rasse gereizt wird
Und aus dem fleischigen Rachen mit bleckenden Zähnen hervorknurrt,
Klingt ihr Drohn bei verhaltener Wut ganz anders, als wenn sie
Losbellt und schier alles mit ihrem Gebrülle erfüllet.
Oder auch wenn sie die Brut mit der Zunge so zärtlich belecket
Oder sie rollt mit den Pfoten und harmlos beißend sie anfällt
Oder mit achtsamem Zahne die Nestlinge droht zu verschlingen,
Dann ist ihr sanftes Gekläffe doch sehr von dem Belfern verschieden,
Das sie allein vollführt, wenn ihr Herr sie zu Hause gelassen
Oder wenn winselnd dem Schlag sie entflieht mit gekniffenem Leibe.
Scheint nicht ferner das Roß in verschiedenem Tone zu wiehern,
Wenn es als Hengst in der Jugend Kraft rast unter den Stuten,
Mächtig getroffen vom Sporn des geflügelten Gottes der Liebe,
Oder zur Schlacht galoppiert und aus offenen Nüstern voranschnaubt,
Oder beim Todesröcheln mit schulternden Gliedern noch wiehert?
Endlich das fliegende Volk und die buntgefiederten Vögel, Habichte,
Adler und Taucher, die über den Wogen des Meeres
Schweben und Nahrung und Leben aus salzigen Fluten gewinnen,
Geben verschiednes Geschrei von sich zu verschiedenen Zeiten,
Und wenn sie streiten um’s Pressen und um das Erbeutete kämpfen.
Teilweis ändern sie auch je nach dem verschiedenen Wetter
Ihr rauhklingend Gekrächz. Als Beispiel nenn‘ ich das alte
Krähen- und Rabengeschlecht. Man sagt, sie schreien nach Wasser
Und nach Regen und rufen bisweilen auch Winde und Stürme.
Wenn demnach schon die Tiere verschiedne Empfindungen zwingen,
Ob sie auch sprachlos sind, verschiedene Stimmen zu äußern,
Wieviel mehr war der Mensch natürlich damals imstande
Mit verschiedenen Lauten bald dies zu bezeichnen, bald jenes.

 

Abgesehen davon, dass es mich fasziniert, wie und was im 1. Jh. v. Chr. schon geschrieben wurde ( Wie gut die Übersetzung ist, kann ich nicht sagen, für mich liest sie sich super), gefållt mir die Argumentation im ersten Teil, weil sie so wunderbar common sense ist.. Und ich meine, der zweite Teil passt gut zu diesem Blog, so weit er bisher gediehen ist. Ausserdem müsste er eigentlich thematisch mindestens amüsant im Rahmen von wababbel sein?