Randbemerkung

Es gibt Leute, die fangen hinten an, ein Stück Kuchen oder Torte zu essen, also am Rand. Für mich ist das hinten. Die Spitze des Kuchenstücks ist vorn, mir zugewandt, weil ich nicht zu diesen Leuten gehöre.

Aber ich kann das verstehen, weil der Rand hinten oft enttäuschend ist, und man sich das Beste für den Schluss aufheben will. Dem Rand fehlt das Eigentliche, das Wesen, die Essenz des Kuchens, beispielsweise säuerlicher, saftiger Rhabarber. Der erste Rhabarberkuchen des Jahres schmeckt immer einzigartig köstlich! Bis auf den Rand.

Zwei habe ich bisher gebacken, und diesmal stellte sich die Frage des Randes beim Essen nicht mehr, wurde er doch davor schon weggeschnitten. Für den Kater und die sechs (sechs!) Rotkehlchen, die heuer auf Kuchen bestehen. (Wenn ich nicht draussen bin, sehe ich von drinnen auch manchmal Meisen und Buchfinken an den Schüsselchen mit den Kuchenkrümeln auf dem Gartentisch.)

Welche Kehlchen die Rotkehlchen damit füttern, kann ich nicht sagen, las ich doch erst kürzlich, dass Rotkehlchen auch oft andere Vögel füttern als Rotkehlchen und Kuckucke. Wer schon im Nest mit Kuchen gefüttert wird, tanzt vielleicht auch bald auf dem Tisch an? Hhm. Das erste junge Rotkehlchen habe ich gestern gesehen. Nein, noch nicht am Kuchen. Und noch braun.

Jetzt habe ich erst mal wieder Kastenkuchen gebacken. Der lässt sich einfach in einheitliche Scheiben zerteilen. Ohne hinten und vorn.

Häuser, Fenster und Türen

Die Fenster sind klein und schmal in so einem alten irischen Farmhaus, das selber nicht gross ist. Da ist kein Platz für grosse Fenster. Ausserdem gab es in der Vergangenheit die Fenstersteuer. Je mehr Fenster eine Behausung hatte, und je grösser sie waren, um so höher war sie, und wollte vermieden werden. Das wirkte sich vermutlich auch später noch aus beim Bau von Häusern. Jedenfalls ist das Innere dieses Hauses ziemlich dunkel. Das gilt besonders für meine Arbeitsecke in der Küche. Wenn ich da was gescheit sehen will, muss ich das grosse Licht anmachen.

Immer neigten sie hier dazu, alle Häuser gleich oder ähnlich zu bauen. Cabins, Cottages, Farmhäuser, Bungalows, und während des Baubooms die Häuser in sogenannten “estates”. Alle ein Typ aus Katalogen mit Bauplänen, aus denen eine, manchmal zwei, drei, ausgesucht und dann auf dem Gelände angeordnet wurden, aber immer, immer schrecklich gleichförmig. Ob nun etwas luxuriöser als Ferienhäuser neben einem Hotel mit Golfplatz auf dem Gelände eines alten Herrenhauses, oder einfach als Wohnsiedlungen neben einem Dorf. Neben fast jedem Dorf. Ich erinnere mich noch, wie zwei dreckige “construction workers” während des booms in Carrick in die Buchhandlung kamen und sich, um irgendetwas klarzumachen, während ihrer Arbeit am Bau die Pläne im Katalog in der Buchhandlung anschauten. Jede Buchhandlung verkaufte solche Kataloge.

Man hat keine Dörfer erweitert. Die estates wurden daneben hingeklatscht. Mit eigenem Strassenzugang, der eine Sackgasse ist. Am Ende eine Wendeplatte. Es gibt keine Anbindung zum Dorf, man kann durch sie nicht spazieren gehen. Und immer noch stehen viele leer, wurden nie ganz fertiggestellt. Sogenannte “ghost estates”. Der einzige Versuch, sie einzubinden, bestand darin, ihnen Namen zu geben, die etwas mit der Lokalität zu tun haben sollten. Wir konnten immerhin einige verhindern.

Aus meinem zerfledderten Paperback Oxford English Dictionary:

estate: n.
1 a property consisting of a large house and extensive grounds
2 an area of land and modern buildings used for housing, industrial or business purposes
3 a property where crops such as coffee are grown or wine is produced
(solche gibt es hier nicht. Lol.)
4 all the money and property owned by a person at the time of their death

1,2 und 3 zusammen finde ich doch recht bemerkenswert, wenn man weiss, welche Rolle “property” i.e. Immobilien hier gespielt haben.

Was ich aber eigentlich erzählen wollte: In letzter Zeit steht abends die Sonne, wenn ich koche so, dass sie schräg in die Küche scheint, so sie denn scheint. Meine Ecke erreicht sie trotzdem nicht. Aber ich fand zufällig heraus, als ich Sachen aus dem Schrank über mir – Salz, Gewürze und so – holte, dass die Sonne die geöffnete Schranktür trifft, und von dort reflektiert das Licht dann auf meine dunkle Arbeitsfläche und beleuchtet sie. Derlei ephemerische Alltagsphänomene finde ich faszinierend, amüsant, bemerkenswert.